Kunsttherapie kann Kräfte wecken
Das Projekt „Spuren“ fand im Zeitraum vom 06. November 2020 bis 28. Juli 2021 an der Erich Kästner Schule in Ostfildern statt. Es handelte sich um eine kunsttherapeutische Initiative zur Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrations- bzw. Fluchterfahrung. Diese wurde von den Kunsttherapeutinnen Letizia Calà und Célia Engel konzipiert und durchgeführt. Das Projekt wurde durch die Bürgerstiftung Ostfildern gemeinsam mit der Klaus-Jürgen und Heidemarie Futterer Stiftung mit 5.540 Euro finanziell unterstützt.
Kunsttherapie vereint heilsame Potentiale der Kunst und Psychotherapie und ist eine Möglichkeit, gegen psychische Belastungen und Krisen aktiv vorzugehen. Kunsttherapie erweitert die therapeutische Beziehung um eine „dritte Komponente“: das künstlerische Medium. Dadurch wird das schöpferische Potential des Menschen geweckt und Selbstheilungskräfte (re-)aktiviert. Sie ist ein ressourcen-, erlebnis-, handlungs- und beziehungsorientiertes therapeutisches Verfahren, welches im pädagogischen Kontext präventiv und entwicklungsfördernd wirkt. Das kunsttherapeutische Projekt „Spuren“ wurde mit der Vorbereitungsklasse an der Gemeinschaftsschule durchgeführt. An insgesamt zwanzig Terminen konnten die Schüler*innen verschiedene Materialien kennenlernen und damit etwas Individuelles gestalten. Um den Einstieg in die künstlerische Arbeit zu erleichtern, wurden an den jeweiligen Terminen kleine Themenimpulse gegeben, die beim Gestalten vertieft werden durften. Gearbeitet wurde sowohl in Einzel- als auch in Gruppenarbeit. Die entstandenen Werke wurden stets am Ende des Projekttages gemeinsam betrachtet und ein Austausch in der Gruppe angeregt. Diese rituelle Struktur diente der Vermittlung von Halt und Stabilität in der Gruppe.
Ein wesentliches Ziel war es, das psychische Wohlbefinden sowie das eigene Erleben von Kindern und Jugendlichen zu stärken, die mit der Bewältigung von Migrations- bzw. Fluchtanforderungen in der Schule konfrontiert sind. Durch die Vielfältigkeit der Materialien konnten viele Schüler*innen in einer großen Altersspanne erreicht werden. Das individuelle Arbeiten innerhalb der Gruppe ermöglichte es den Kindern und Jugendlichen, sich mit eigenen Interessen und Bedürfnissen auseinanderzusetzen, wobei sie sowohl in ihrem emotionalen als auch sprachlichen Ausdruck unterstützt wurden. So konnten Gefühle zum Vorschein Gebracht werden, die sonst schwer in Worte zu fassen sind. Es deuteten sich Themen wie Heimweh und Trauer um erlittene Verluste an, aber auch zukunftsorientierte Wünsche nach Harmonie und Glück im neuen Land sowie die Sehnsucht nach zuverlässigen Bezugspersonen und Zugehörigkeit.
Es wurde Raum für die Exploration der vielfältigen Facetten ihrer Identität – für das Aufgreifen alter und das Hinterlassen neuer Spuren – geschaffen. Dabei spielte die Begegnung untereinander sowie das kollektive Erleben in der Gruppe eine zentrale Rolle. Durch den beziehungsorientierten Ansatz konnte das Vertrauen zueinander gestärkt und Handlungsräume erweitert werden. Dadurch werden Schüler*innen dabei unterstützt, sich selbst und andere besser kennenzulernen, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu bekommen und mit ihren Emotionen umzugehen. All dies dient als „symbolisches Probehandeln“ im Hinblick auf eine Verortung in der neuen Aufnahmekultur. Vor diesem Hintergrund gilt es, ein positives Gegengewicht zu gegenwärtigen psychosozialen Belastungen zu schaffen. Die schulische Implementierung kunsttherapeutischer Arbeit in Form von Gruppen- und Einzelangeboten würde langfristig einen geschützten Raum für eine nachhaltige Förderung der Integration und Inklusion migrierter bzw. geflüchteter Kinder und Jugendlicher sicherstellen. Idealerweise würde die enge Zusammenarbeit von Kunsttherapeuten und Lehrkräften die Tragweite dieses Ziels erhöhen.
(Bericht und Fotos von Letizia Calà und Célia Engel)